10.11.2015: Die Erdogan-Regierung ging im Vorfeld der Wahlen auch gegen kritische Stimmen aus dem bürgerlich-islamistischen Lager vor, stellte zwei Zeitungen und Fernsehsender der Gülen-Bewegung unter AKP-Kontrolle, ging mit Polizei dagegen vor.
Die Regierung verschärft ihre Politik des Staatsterrors in weiten Teilen Kurdistans, was zunehmend auf Kritik in der demokratischen Öffentlichkeit bis ins bürgerliche Lager führt:
„Die Türkei führt im Südosten des Landes Krieg. Mit Ausgangssperren und Verhaftungswellen versucht die Regierung die Lage unter Kontrolle zu bringen. (…) In den von den Ausgangssperren betroffenen Städten liefern sich vermummte und schwer bewaffnete Jugendliche mit den Sicherheitskräften Straßenkämpfe. Die Bilder unschuldiger Zivilisten, gefangen zwischen den Fronten, rütteln die türkische Zivilgesellschaft auf. Im Gegensatz zu den 90er-Jahren berichten regierungskritische Medien mittlerweile darüber. Die islamisch-konservative AKP-Regierung wird der Schreckensbilder nicht mehr Herr, die sich über die Medien verbreiten. Angehörige der eigenen Partei sprechen bereits von schweren Menschenrechtsverletzungen in den abgeriegelten Städten. (…)
(…) Seit Juli haben sich mindestens 15 kurdisch dominierte Distrikte als autonom erklärt. Bürgermeister der prokurdischen Partei HDP wurden daraufhin des Verfassungsbruchs beschuldigt und verhaftet. Die Jugendorganisation der PKK hat Barrikaden errichtet und die Polizei sowie Spezialeinheiten am Betreten der Städte zu hindern versucht. (…) die Strategie Erdogans scheint nicht aufzugehen. (…) Der Bezirkschef von Silvan, Abdülmenaf Manaz, war selbst tagelang in seiner Stadt eingeschlossen. Manaz, ein Vertreter der größten Oppositionspartei CHP, wütete gegenüber dem Sender RS FM. „Hier ist es schlimmer als in den 90er-Jahren. Wir leben in einem geschlossenen Gefängnis.“ Die Ausgangssperren würden nur der PKK den Rücken stärken. Wenn das so weiter gehe, würden 99 Prozent der Jugendlichen in die Berge gehen, erklärte er.“1
Es gibt zunehmende Belege zur Zusammenarbeit der Erdogan-Regierung mit dem faschistischen IS. Dazu erklärt die HDP-Co-Vorsitzende Sebahat Tuncel:
„Ich sehe bei den Explosionen in Diyarbakir, Suruç und nun in Ankara schon sehr viele Belege für diese Zusammenarbeit. … Es gibt auch Videos, die im Fernsehen gezeigt wurden und die das enge Verhältnis zwischen türkischen Soldaten und IS-Kämpfern zeigen. Nach jedem Anschlag sagt die Regierung: Das war der IS. Aber dann tut sie sehr wenig.“2
Die Türkei benutzt die Flüchtlinge als Druckmittel gegenüber der EU. Beim Besuch von Merkel stellte Erdogan verschiedene Forderungen an die EU: Einordnung der Türkei als sicheres Herkunftsland, Visa-Erleichterungen, Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen und 3 Milliarden € – und Merkel sagte das weitgehend zu und unterstützte mit dem Besuch Erdogans Wahlkampf. Es geht hierbei gleichzeitig um die Erweiterung des Einflusses des BRD – Imperialisten und der EU. „Die EU will die Wirtschaftspartnerschaft mit der Türkei ausweiten.“3 Die EU-Kommission möchte ein reformierte Zollunion mit der Türkei erreichen mit einer Anbindung der Türkei an künftige Freihandelsvereinbarungen ähnlich TTIP. Die bisherigen Vereinbarungen zwischen Brüssel und Ankara von 1996 decken nur den industriellen Bereich ab, das soll sich ändern auf alle Bereiche. Evonik-Chef Engel sagte in Brüssel, die USA sei der wichtigste Handelspartner der EU, aber Europa müsse sich auch zunehmend auf die Durchsetzung der eigenen Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik vorbereiten.4
1APA Onlineticker 7.10.15
2Sebahat Tuncel, HDP-Co-Vorsitzende, Interview mit derStandard.at vom 20.10.2015
3Handelsblatt vom 13.10.
4Handelsblatt vom 13.10.