Nachem die Bundesregierung aufgefordert wurde, sich für den humanitären Korridor nach Kobane einzusetzen, hatte sie dies in einem Brief abgelehnt. Der Solidaritäts- und Förderverein schrieb ihr daraufhin dieses Antwortschreiben.
Hier das Antwortschreiben zum Herunterladen im PDF Format.
Solidaritäts- und Förderverein
„Gesundheitszentrum Kobanê“
c/o Frank Jasenski, Industriestraße 31, 45899 Gelsenkirchen
Telefon: 00 49 (0)209/3597673 und (0)172/2107579
RAeMeisterpp@t-online.de
Herrn Peer Kölling, Auswärtiges Amt
Referent für humanitäre Hilfe
und humanitäres Minenräumen
Syrien / Nachbarländer
per Email: s05-5@auswaertiges-amt.de
Auswärtige Amt
Beauftragter der Bundesregierung
für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe
z. H. Herrn Holger Tillmann
per Email: mrhh-b-pref@auswaertiges-amt.de
Deutsches Generalkonsulat
der Bundesrepublik Deutschland in Erbil
z. H. Herrn Eike Hendrik Krebs
per Email: pol-1@erbi.auswaertiges-amt.de
2. Dezember 2015
Sehr geehrter Herr Kölling,
sehr geehrter Herr Tilmman,
sehr geehrter Herr Krebs,
sehr geehrte Damen und Herren,
wir bestätigen den Eingang der Schreiben des Herrn Kölling und des Herrn Tillmann vom
30.11.2015 sowie des Deutschen Generalkonsulats in Erbil vom 28.11.2015.
Ihren Standpunkt vermögen wir allerdings in keiner Weise zu teilen. Sie erwarten Verständnis
dafür, dass die Bundesregierung und das Auswärtige Amt jegliche diplomatische
Unterstützung des Anliegens unserer humanitären Helfer auf Grenzübertritt nach 2
Rojava/Syrien rundweg ablehnen mit der Begründung, dass für dieses Gebiet eine
Reisewarnung des Auswärtigen Amtes besteht.
Dafür haben wir keinerlei Verständnis!
Unsere humanitären Helfer sind keine Touristen, sondern engagierte Menschen, die
ehrenamtlich und uneigennützig ihre Fachkenntnisse und ihre Arbeitskraft für ein
richtungsweisendes und völkerrechtlich geschütztes humanitäres Hilfsprojekt einsetzen und
sich des Risikos ihres Einsatzes in einer Krisenregion bewusst sind. Reisewarnungen sind für
einen bestimmten Personenkreis sicherlich notwendig und hilfreich, können aber keinesfalls
als Begründung dafür dienen, humanitären Hilfsorganisationen die notwendige Unterstützung
zu verweigern, ja sie zu blockieren und damit Menschenleben zu gefährden! Wäre dem so,
müssten das Internationale Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen ihre Arbeit auf der
Stelle einstellen!
Seitens der Bundesregierung wird immer wieder betont, dass sie großen Wert auf die
Bekämpfung von Fluchtursachen legt. Ausdrücklich formuliert das Auswärtige Amt am
01.12. 2015 auf seiner Internet-Seite: „Die Bundesregierung wird zudem ihr ziviles
Engagement in Syrien, Irak sowie den Nachbarländern Syriens zur Unterstützung von
Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und der Bevölkerung ausweiten.“
Genau daran arbeitet das Projekt des Gesundheits- und Sozialzentrums in Kobanê. Wir haben
mit unseren Schreiben hinreichend deutlich gemacht, dass es einen wesentlichen Beitrag zum
Wiederaufbau von Kobanê leistet und Signalwirkung hat, damit die Bewohner in ihre Heimat
zurückkehren können. 170.000 Menschen haben dies inzwischen bereits getan!
Im Schreiben von Herrn Kölling wird unser Projekt namens der Bundesregierung auch
ausdrücklich begrüßt, zugleich aber jede Unterstützung verweigert. Beabsichtigt oder nicht –
im Ergebnis wird damit letztlich der Abschluss und die Inbetriebnahme des Gesundheits-
zentrums blockiert, um nicht zu sagen sabotiert. In einer Situation, wo der Winter bevorsteht
und viele Menschen allein wegen mangelnder medizinischer Versorgung sterben, kommt das
einer unterlassenen Hilfeleistung gleich!
Wenn es der Bundesregierung wirklich darum geht, Fluchtursachen abzubauen und den
barbarischen Terror des IS zu bekämpfen – warum fällt sie dann ausgerechnet denjenigen in
den Rücken, die dies vor Ort am erfolgreichsten tun, nämlich den Menschen in den
demokratisch verwalteten Gebieten in Rojava?
Der Einsatz unserer humanitären Aufbauhelfer entspricht ausdrücklich den Grundsätzen der
EU bezogen auf humanitäre Einsätze. In der „Gemeinsamen Erklärung des Rates und der im
Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments
und der Europäischen Kommission – Europäischer Konsens über die humanitäre Hilfe
[Amtsblatt C 25 vom 30.1.2008]“ heißt es unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Strategie
ausdrücklich: „Neben den Sofortmaßnahmen, die beim Ausbruch einer Krise ausgelöst
werden, setzt sich die EU dafür ein … den Übergang, den zügigen Wiederaufbau und die
Entwicklung zu unterstützen, insbesondere durch eine verstärkte Verknüpfung zwischen
Soforthilfe, Wiederaufbau und Entwicklung.“
Im „Konzept des Auswärtigen Amtes zur Förderung von Vorhaben der Humanitären Hilfe der
Bundesregierung im Ausland“ (Stand 28.1. 2013) heißt es unter 3.1:
„Gegenstand der Förderung sind Vorhaben der humanitären Hilfe im Ausland, … die im
Einklang mit international anerkannten humanitären Prinzipien der Menschlichkeit,
Unparteilichkeit, Unabhängigkeit und Neutralität stehen und sich des weiteren nach den
„Zwölf Grundregeln der Humanitären Hilfe im Ausland“, dem EU-Konsens zur Humanitären
Hilfe, den Grundsätzen der Guten Humanitären Geberschaft sowie dem Verhaltenskodex der 3
Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung und der Nichtregierungsorganisationen in der
Katastrophenhilfe richten.“
Der hier angesprochene Verhaltenskodex der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-
Bewegung bestimmt unmissverständlich: „Der humanitäre Imperativ hat oberste Priorität:
Das Recht, humanitäre Hilfe zu empfangen und zu leisten, ist ein fundamentaler humanitärer
Grundsatz, der für alle Bürger aller Länder gelten sollte. Als Mitglieder der internationalen
Gemeinschaft sind wir uns unserer Verpflichtung bewusst, humanitäre Hilfe überall dort zu
leisten, wo sie gebraucht wird. Um dieser Verantwortung nachkommen zu können, ist es von
grundlegender Bedeutung, dass wir ungehinderten Zugang zu den betroffenen
Bevölkerungsgruppen erhalten.“
In den vom Auswärtigen Amt ausdrücklich akzeptierten „Zwölf Grundregeln der
Humanitären Hilfe im Ausland“ heißt es weiterhin: „Alle Menschen haben das Recht auf
humanitäre Hilfe und humanitären Schutz, ebenso wie ihnen das Recht zustehen muss,
humanitäre Hilfe zu leisten und humanitären Schutz zu gewähren.“ Darüber hinaus heißt es in
Art. 70 Abs. 2 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949: „Die
am Konflikt beteiligten Parteien und jede Hohe Vertragspartei genehmigen und erleichtern
den schnellen und ungehinderten Durchlass von Hilfssendungen, -ausrüstungen und –
personal, die nach diesem Abschnitt bereitgestellt werden …“ (Hervorhebung d. U.)
Hieraus resultiert für die Bundesrepublik Deutschland als Vertragspartei sogar eine
völkerrechtliche Verpflichtung, die Regierung in Erbil um die Genehmigung des
Grenzübertritts für das humanitäre Hilfspersonal zu ersuchen.
Es ist nicht zu akzeptieren, dass das Auswärtige Amt diesen unmissverständlichen
Verpflichtungen des internationalen humanitären Völkerrechts nicht nachkommt.
Wir fordern Sie daher nochmals auf: Setzen Sie sich dafür ein, unternehmen Sie alle
notwendigen diplomatischen Schritte, um es unseren humanitären Helfern zu ermöglichen,
nach Kobanê zu reisen und das Projekt erfolgreich zum Abschluss zu bringen!
Wir möchten auch nicht verschweigen, dass wir vor diesem Hintergrund ein juristisches
Vorgehen einschließlich gerichtlicher Schritte und die Ächtung des gegen fundamentale
Grundsätze des humanitären Völkerrechts verstoßenden Verhaltens der Bundesregierung in
Erwägung ziehen.
Nach all den vielen Opfern in Kobanê und angesichts der heutigen Gefahren ist die
Verweigerung der Unterstützung für unser Anliegen unverantwortlich, gefährdet Menschen-
leben aus rein bürokratischen Erwägungen und kommt objektiv einer Schützenhilfe für den IS
gleich.
In Erwartung Ihrer baldigen Antwort verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Frank Jasenski
Vorstand des Vereins
„Solidaritäts- und Förderverein Gesundheitszentrum Kobanê i. G.“